Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, unsere Köpfe hinter dicken Wälzern zu vergraben, um Theorien, chemische Formeln und Gesetze auswendig zu lernen, die wir schnell wieder vergessen werden. Unser Ziel ist es, ein erfolgreiches Studium abzuschließen, um hinterher eine umso erfolgreichere Karriere zu starten. Verstecken uns dafür wochenlang hinter unseren Bildschirmen, denn die nächste Deadline für die 20-seitige Hausarbeit muss um jeden Preis eingehalten werden. Nein, heute haben wir leider keine Zeit, mit unseren Freunden auszugehen. Denn schon als wir klein waren, wurde uns eingetrichtert, dass die Arbeit stets vor dem Vergnügen kommt. Als müsste man es sich erst verdienen zu leben.
John Lennon sagte einst:
„Life is what happens while you are busy making other plans.“
Und er behielt Recht. Wenn unsere Pflichten eine höhere Priorität bekommen, als der Spaß am Leben, läuft wahrscheinlich irgendetwas verkehrt. Eines Tages werden wir möglicherweise aufwachen und uns fragen: „Haben wir eigentlich gelebt?“
Wir werden noch älter sein, mehr Pflichten haben und unser Leben der Familie, unseren Kindern widmen – falls wir denn welche haben werden. Mit dem Alter wird es nicht einfacher und die Probleme werden nicht kleiner werden.
Wir haben es verlernt, bewusst zu leben!
Doch bewusster leben ist leichter gesagt als getan. Ich selbst habe in letzter Zeit gemerkt, wie einfach es ist, sich dem Alltagstrott hinzugeben und Ausreden zu erfinden, warum man sich eben mal keinen Spaß gönnen kann. Die Gesellschaft hat uns Normen auferlegt, wie wir zu leben haben. Wir sehen es an unseren Mitmenschen, Tag für Tag. Im Extremfall sind es dann die, die eben erst 17 geworden sind und bereits anfangen zu studieren. Bestenfalls innerhalb von drei Jahren das Bachelor-Studium abschließen und direkt ihren Master machen. Mit ihren jungen 23 Jahren dann schon mitten im Berufsleben stehen. Die meisten der Studierenden werden den Master im Durchschnitt wahrscheinlich spätestens mit 27 abgeschlossen haben. Und ihr Leben nehmen wir als Richtlinie.
Wie sieht es denn nun bei dir aus?
Soziale Netzwerke, wie Facebook, geben uns Anreize, ständig Vergleiche zu anderen Personen zu ziehen. Person XY hat bereits dies und das gemacht, war zwei Jahre im Ausland, hat schon promoviert und einen gut bezahlten Job. Und ich stehe inmitten meines Studiums, muss noch ein dreimonatiges Praktikum absolvieren und springe jede Woche von einem Nebenjob zum anderen, um mir meine Lebenskosten zu finanzieren. Dann sind da die 7 Hausarbeiten, die zu Semesterende abgegeben werden müssen und der übliche Bürokratiekrams, der mehr Nerven raubt als man sich wünscht.
Wo bleibt denn da die Zeit? Ganz einfach: ICH NEHME sie mir.
Ich studiere, ich arbeite und nehme mir dann die übrig gebliebene Zeit, um das zu Leben genießen. Ich möchte frei sein, reisen und Freunde treffen. Spaß haben, neue Menschen kennenlernen, ohne ständig Pflichten im Hinterkopf zu haben. Wer mir erzählen möchte, er könne nicht einfach mal ein paar Tage in den Semesterferien wegfahren, weil er so viel für die Uni zu tun habe, der hat in meinen Augen schlichtweg verlernt, sein Leben autonom zu gestalten. Es sind faule Ausreden, denn wenn man möchte und wenn einem das Leben so wichtig wäre, kommt man immer irgendwie an seine Zeit heran. Auch wenn man dann mal ein oder zwei Semester an das Studium dranhängen muss. So what?! Letztendlich kommt es doch darauf an, das Leben, soweit es geht, ausgekostet zu haben. Und das geht auch, ohne die Karriere links liegen zu lassen.
Wie kann ich denn nun bewusster leben?
Die Frage hat mich eine lange Zeit beschäftigt. Manchmal war ich unzufrieden und bin es auch hin und wieder, weil ich das Gefühl habe, zu sehr im Alltagstrott gefangen zu sein.
Es ist klar, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, auf die Frage des bewussteren Lebens eine universale Antwort zu geben. Denn jeder hat seine individuellen Erwartungen vom Leben. Allerdings kann ich euch ein paar Anregungen geben und euch berichten, auf welche Weise ich in letzter Zeit versuche, das Leben im Alltag mehr schätzen zu lernen, zu genießen und bewusster zu leben:
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ICH VERSUCHE JEDEN TAG SO ZU LEBEN, ALS WÄRE ICH AUF REISEN.
Wenn ich auf Reisen bin, möchte ich jedes kleinste Detail meiner Umgebung entdecken. Ich werde plötzlich neugierig für die kleinen, zahlreichen Begebenheiten eines Landes, so wie wenn ein Kleinkind zum ersten Mal etwas Neuem begegnet. Man ist interessierter, möchte mit fremden Leuten in Kontakt treten und sich mit ihnen über die persönlichen Erfahrungen austauschen. Man möchte mit seinem ganzen Herz und seiner ganzen Seele in die Kultur eines Landes eintauchen. Frei und leidenschaftlich sein. Sind dies nicht die Gründe, warum wir das Reisen so lieben?
Wieso sollte es also nicht auch in der eigenen Stadt so sein? Jedes Mal, wenn ich von meinen Reisen zurückkomme, merke ich, wie vertraut und gleichzeitig doch so fremd mir Frankfurt manchmal ist, obwohl ich doch schon lange hier lebe. Also beschließe ich:
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ÖFTER AUF MENSCHEN ZUZUGEHEN. MIT IHNEN ZU SPRECHEN.
Bewusster leben bedeutet für mich u.a., mich aktiv mit meiner Umgebung auseinanderzusetzen. Interessiert zu sein. Häufig Reisende merken vielleicht auch, dass die deutsche Kultur in manchen Angelegenheiten ein wenig zurückhaltend zu sein scheint. Ich empfinde dieses Verhaltensmuster manchmal als „spießbürgerlich“ oder sogar eher als „ängstlich“. Oftmals kriege ich das Gefühl nicht los, dass einige Menschen hier etwas kontaktscheu sind, weil sie Angst haben. Angst davor, bloßgestellt zu werden.
Auf der anderen Seite haben viele Angst vor Dingen, die ihnen befremdlich und unvertraut sind. Die meisten von uns haben schon einmal negative Erfahrungen mit „dem Fremden“ gemacht und sich diese Erfahrungen eingeprägt. Wie oft begegnet man auf den Straßen einer Person, die man ganz interessant findet und traut sich nicht, diese anzusprechen? Die Antwort wird bei der Mehrheit wahrscheinlich „oft“ sein. Das ist ziemlich schade, denn in letzter Zeit habe ich oft sehr positive Erlebnisse mit neuen Bekanntschaften erfahren können. Besonders übers Couchsurfern habe ich wunderbare Menschen kennenlernen dürfen, die ich nun zu meinen engeren Freunden zählen kann. Also: traut euch! :)
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SICH NICHT VON ANDEREN LEUTEN ABHÄNGIG MACHEN.
Wer kennt das nicht, wenn man sich tagelang auf ein Event gefreut hat und die Freunde dann plötzlich doch absagen müssen. Ein ziemlich ernüchterndes Gefühl, doch Trübsal blasen muss man deswegen noch lange nicht. Denn es ist unheimlich wichtig, sich selbst beschäftigen zu können.
Wir sollten uns weniger abhängig machen, weniger auf andere angewiesen sein.
Mir ist es eine lange Zeit ziemlich schwer gefallen, auch mal alleine auszugehen, aber ich werde immer besser und lerne ständig dazu. Anfangs mag es sich vielleicht merkwürdig anfühlen, ohne Freunde auf ein Event zu gehen. Doch das ist alles reine Übungssache – und vor allem eine Sache der persönlichen Einstellung. Ihr werdet merken, dass man oft viel einfacher mit fremden Menschen in Kontakt kommt. Noch dazu müsst ihr keinerlei Kompromisse eingehen und könnt freie Entscheidungen treffen, ohne auf andere zu achten. Also: das nächste Mal nicht verzweifeln, wenn die Freunde mal keine Zeit haben. Bewusster leben bedeutet auch, unabhängiger zu sein. Geht alleine aus, macht das Beste aus der Situation. Ihr werdet bestimmt einen wundervollen Abend erleben!
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ABWECHSLUNGSREICH SEIN UND NEUES AUSPROBIEREN.
- Wie wäre es mal, neue Bars, Restaurants oder Clubs zu erkunden, auch wenn ihr bereits eure Stammplätze habt? Besucht verschiedene Veranstaltungen. Ich finde, dass Facebook eine große Hilfe sein kann, neue Events zu entdecken. In nächster Zeit werde ich zum Beispiel öfter auf Kulturveranstaltungen in Frankfurt gehen. Es gibt in jeder Stadt immer mal wieder Theateraufführungen, Kunstausstellungen oder schöne Poetry-Slam-Abende.
- Wenn ihr etwas Geld dazuverdienen wollt und Lust auf etwas abwechlungsreichere Jobs habt, testet euch doch mal beruflich in neuen Gebieten. Gerade als Student hat man vielfältige Möglichkeiten. Ich habe jahrelang in der Eventbranche für verschiedene Agenturen als Hostess oder Servicekraft gearbeitet und konnte somit öfter auf internationalen Veranstaltungen dabei sein, auf denen man stets interessante Persönlichkeiten trifft. Um solche Jobs zu finden, kann ich euch die Seite Jobmensa empfehlen. Da ich in letzter Zeit jedoch Lust auf mehr Abwechslung bekommen habe, bin ich nun neben meinem Studium auch noch Hunde- und Babysitterin und gebe wöchentlich Englischnachhilfe. Betreut.de ist dafür ein nettes Portal.
- Erweitert euren kulinarischen Horizont und lernt neue Rezepte! Gutes Essen bereitet fast jedem Freude und trägt dazu noch dazu eine soziale Bedeutung. Es heißt nicht ohne Grund, Liebe ginge durch den Magen. Wenn ihr nicht gerne alleine kocht, ladet doch mal Freunde zu euch ein und veranstaltet mit ihnen einen Kochabend.
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DIE REALE WELT DER VIRTUELLEN WELT VORZIEHEN.
Es heißt, dass neue Technologien Menschen aus aller Welt näher zusammenbringen. Für Bekanntschaften über Grenzen hinweg mag das stimmen. Doch im Bekanntenkreis der unmittelbaren Umgebung trennt sie uns viel eher, erzeugt soziale Barrieren zwischen uns anstatt zusammenzuschweißen. Wir kapseln uns voneinander ab. Wir verlernen, persönliche Kontakte persönlich zu pflegen.
Lieber lange Whatsapp-Nachrichten, statt mal einen kurzen Anruf zu tätigen, dann Person X auf Facebook „stalken“, anstelle ihr gegenüber zu treten. Während die technischen Fortschritte boomen, bilden wir uns im sozialen Bereich immer weiter zurück und verstecken uns tagtäglich hinter Bildschirmen vor der Realität. Bewusster leben heißt, mental als auch physisch anwesend zu sein, gemeinsam unvergessliche Momente zu teilen und sich vom Leben, inmitten der Menschenmassen, treiben zu lassen. Den Fokus weniger auf neue Techniken und stattdessen auf reale, zwischenmenschliche Beziehungen zu setzen, gehört für mich zum bewussteren Leben eindeutig dazu.
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MEHR DRAUßEN SEIN. DIE UMGEBUNG WAHRNEHMEN. BEWEGUNG IST BALSAM FÜR DIE SEELE.
Es muss auch kein täglicher Sport sein. Einfach mal mehr Zeit draußen verbringen und frische Luft zu schnuppern tut außerordentlich gut und hält noch dazu fit. Gerade, wenn man sonst studiumsbedingt oder jobtechnisch ohnehin viel Zeit in stickigen Räumen verbringen muss.
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BEWUSSTER ESSEN UND EINKAUFEN.
Ich mag es, gut zu essen und schöne Klamotten zu tragen. Noch schöner ist es, diese kleinen, aber alltäglichen Dinge mit gutem Gewissen zu genießen. Allerdings können alltägliche Einkäufe in unserer opportunistischen Gesellschaft eine große Herausforderung sein, wenn man nicht nur günstig, sondern auch moralisch einkaufen gehen möchte. Denn dem Verbraucher bleibt die Sicherheit verwährt zu erfahren, was tatsächlich hinter den irreführenden und zugleich intransparenten Produktangaben steckt. Ein Kleidungsstück, was mit „Made in Germany“ etikettiert wurde, gibt letztendlich keinerlei Garantie dafür, dass es tatsächlich in Deutschland produziert wurde – oft wird das Produkt in Niedriglohnländern, wie Bangladesch hergestellt und nur zur Endverarbeitung nach Deutschland geschickt – und schon darf es als deutsches Produkt gekennzeichnet werden. Ganz klare Verbraucherverarsche.
Dennoch können wir zumindest versuchen, auf gewisse Standards zu achten, über welche wir Informationen finden können. Es gibt eine Reihe von Siegeln, die man u.a. auf der Webseite Modeaffaire finden kann. Eine Alternative wären Secondhandläden oder Online-Portale (z.B. Ebay, Kleiderkreisel), wo man auch mal gebrauchte Klamotten aus Niedriglohnländern kaufen kann, ohne unmenschliche Produktionsweisen zu unterstützen.
Ähnliches gilt auch für Nahrungsmittel. Beim Kauf von Produkten, die beispielsweise mit Palmfett gekennzeichnet sind, unterstützt man nicht nur die Ausrottung unserer Regenwälder, einschließlich bedrohter Tierarten (z.B. Orang Utans), sondern auch Menschenrechtsverletzungen. Auch der Massentierhaltung kann man bewusst entgegenwirken, ohne direkt auf Fleisch verzichten zu müssen, indem man z.B. in kleineren Bioläden oder beim Metzger einkauft und sich dort ausführliche Informationen zur Herkunft eines Produktes holt. Leider ist es tatsächlich so, dass moralisch vertretbare Produkte meistens kostenspieliger sind und sich das kaum jeder dauerhaft leisten kann. Doch die Welt wäre vielleicht schon eine etwas bessere, würden wir die allgemeine Informationsverdrossenheit ablegen und stattdessen mehr soziale Verantwortung tragen.
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ETWAS PLANEN, WORAUF MAN SICH LÄNGERFRISTIG FREUEN KANN.
Wenn der Alltagsstress so langsam Überhand ergreift, ist es an der Zeit, etwas zu planen, worauf man sich längerfristig freuen kann. Wie wäre es mit einem kleinen Städtetrip? Einfach mal für 3-4 Tage dem Alltag entfliehen und in eine andere Lebenswelt eintauchen. Auf Urlaubsguru oder Urlaubspiraten findet man eine breite Auswahl an günstigen Reiseangeboten. Für weniger Geld täte es vielleicht auch schon ein entspannter Wellnesstag in der Therme, ein Kino- oder Theaterbesuch oder eine Radtour mit anschließendem Picknick im Grünen. Erlebnisgutscheine als Sparangebote in den jeweiligen Umgebungen bietet u.a. Groupon an. Mit kleinen Vorfreuden lässt sich der Alltag gleich viel einfacher bewältigen!
Macht die Tipps allmählich zu eurer Gewohnheit. Bewusster leben können wir alle – solange wir konsequent bleiben und wir es wirklich wollen.
Die Gewohnheit ist wie ein Seil. Wir weben jeden Tag einen Faden, und schließlich können wir es nicht mehr zerreißen.
– Thomas Mann
Es kann ziemlich herausfordernd sein, persönliche Gewohnheiten abzulegen und neue in sein Leben zu integrieren. Gewohnheiten zu ändern braucht Zeit und das ist auch völlig in Ordnung so. Denn haben wir uns erstmal neue Gewohnheiten geschaffen, sind diese nur noch schwer zu durchbrechen.
Ich hoffe, dass euch mein Artikel ein wenig Inspiration bieten konnte.
Mir fällt es immer noch schwer genug, doch ich bin dabei mich zu verändern. Ich bin dabei glücklicher zu werden – manchmal bin ich es auch.
Habt ihr euch zuvor mit dem Thema des bewussteren Lebens auseinandergesetzt? Wie sehen eure Anregungen aus?
bewusster leben
3 comments
Hi Mimi,
danke für die vielen guten Tipps, ich finde ja vor allem das „den Tag leben als wäre man auf Reisen“ super. Denn auf Reisen sind alle Sinne wach und so kann man auch daheim die Welt ganz neu endtecken!
Und sich nicht abhängig machen ist ein guter Rat, gerade weil man so viel erleben kann, wenn man auch mal alleine loszieht. Ich liebe es alleine zu Reisen, tatsächlich bin ich in unserem schönen Hessen aber noch nie alleine losgezogen – sollte ich mal machen!
Viele Grüße
Nina
Liebe Nina,
da hast du Recht. Ich habe das Gefühl, manch andere Länder besser zu kennen, als Deutschland. Allerdings versuche ich in letzter Zeit auch öfter Mal, in Frankfurt alleine wegzugehen. Anfangs kostet es tatsächlich viel Überwindung, doch ich habe gemerkt, wie gut es mir tut. Man lernt sehr schnell neue Leute kennen und es ist auch irgendwie abenteuerlich. Ein bisschen so, wie auf Reisen. ;)
Liebe Grüße,
Mimi
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